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Autorenlesung und Gespräch:

„Meinen Apfelstudel sollten sie sich nicht entgehen lassen“

28. September 2023 um 19:30

Immer schwingen die Geschichte Europas und Deutschlands, die familiären Lebensläufe im Hinter- oder Vordergrund mit, wenn Michael G. Fritz mit seiner feinen Prosa von Menschen erzählt, die er bei seinen vielen Reisen durch Israel kennenlernte. Jenseits abstrakter Projektionen weitet er den Blick auf das Land und rüttelt an plakativen Narrativen.
 
Sächsische Zeitung 6.10.22:
„Er spricht mit einem Ziegenhirten, einem Hobbykoch und einer Rabbinerin. Er besucht ein Rockkonzert in der Wüste und ein jüdisches Restaurant im arabischen Teil der alten Hafenstadt Akko. Andachtsvoll zieht er mit hochgekrempelten Hosenbeinen durch den Jordan, genau dort, wo sich der Überlieferung nach Jesus von Johannes taufen ließ. In einem Kibbuz erzählt ihm eine Holländerin von ihrer Familie. Michael G. Fritz hört zu, und dafür hat er offenbar ein besonderes Talent. Fremde Menschen vertrauen ihm ihre Lebensgeschichten an. Diese versammelt er nun in einem Buch mit dem einladenden Titel: „Meinen Apfelstrudel sollten Sie sich nicht entgehen lassen“.
Das Buch ist selbst eine Einladung – zum Nachdenken und zum Neugierigsein und vielleicht zu einer Reise nach Israel, wie sie der Dresdner Schriftsteller mehrmals unternahm.  Manche Begegnungen sind vereinbart. Andere ergeben sich zufällig. Aus vielen Gesprächen und genauen Beobachtungen entsteht ein Bild. Dieses Bild ist nicht auf Vollständigkeit aus. Fritz baut kein Puzzle, in dem sich alle Teile planvoll und vorhersehbar ineinanderfügen. Hier dürfen Lücke und Widersprüche bleiben.
In den persönlichen Beziehungen schwingen die politischen immer mit. Die meisten Menschen, mit denen Fritz in Jerusalem, Haifa oder Tel Aviv spricht, haben sich an ein Leben mit der Gefahr gewöhnt. Und sie sehen kaum noch eine Chance für das Nebeneinander zweier Staaten, für Israelis und Palästinenser. Die Bedrohung kommt auch gar nicht nur aus dem Gazastreifen. Vertreter des liberalen Judentums fürchten viel mehr die Konflikte im eigenen Land: Die Glaubens- und Kulturkämpfe verschärfen sich mit dem wachsenden Einfluss der Orthodoxen. Deren Parteien sind oft das Zünglein an der Waage bei Parlamentswahlen. Manche Gesprächspartner des Dresdner Autors sehen deshalb Werter der Modere wie Gleichberechtigung und den Pluralismus der Religionen gefährdet. Eine junge Frau erzählt von getrennten Schulen für Araber und Juden. Ehen zwischen beiden kommen in Israel kaum vor, sagt sie. Die Heirat sei nur im Ausland möglich. „Zypernehen werden anerkannt. Mit dreihundert Euro alles in allem ist man dabei.“ In den Gesprächen bewahrt Fritz wohl stets eine dezente Freundlichkeit. Deshalb kann er auch scheinbar heikle Fragen stellen, etwa nach Sex vor der Ehe.
In seinen zahlreichen Prosatexten erweist sich der Autor als lakonisch-hintergründiger Erzähler, zuletzt im Roman „Auffliegende Papageien“. Im neuen Reisebuch vermittelt er intensive, schillernde, oft auch überraschende Eindrücke. Er zeigt die Lebenswirklichkeit einer Region, die sich auf eine viertausend Jahre alte Geschichte beruft. Die jüngste Vergangenheit ist allgegenwärtig. Und auch, wenn der Holocaust für die dritte Generation danach keine Rolle mehr zu spielen scheint – ein Deutscher in Israel kann sich dem nicht entziehen.
Fritz erzählt, wie ihn eine alte Frau auf der Straße anspricht: Ob er etwas auf Deutsch sagen könne. Die Sprache erinnere sie an die Kindheit. Wie ihn da ein leichtes Unbehagen erfasst. Denn auch, wenn er als einer vom Jahrgang 1953 mit dem Holocaust nichts zu tun hat: Er fühlt diese „Bürde namens Auschwitz“ immer noch auf sich lasten. „Wer sollten sie uns abnehmen?“

Die Lesung ist Teil der Reihe „Haltungen“ der Unabhängigen Schriftsteller Assoziation Dresden e.V.Das Projekt wird durch das Amt für Kultur und Denkmalschutz der Landeshauptstadt Dresden gefördert.

VVK 9€/ 7€ erm; AK 10€ / 8€ erm.