Das Putjatinhaus – Ein Haus mit Geschichte
„Das Allgute soll getan und nicht bloß besprochen und zersprochen werden.“
„Sei weise im Denken, edel in Deiner Gesinnung, und handle gerecht im Kreise Deines Wirkens, für alle Andere, so wie für Dich selbst; und wenn Du Nützliches hervorbringst, so denke nie an Dich allein.“
Diese Gedanken der Sprüche des Fürsten Nikolaus Putjatin (1749-1830), veröffentlicht in seiner 1824 herausgegebenen philosophischen Schrift „Worte aus dem Buch der Bücher, oder über Welt- und Menschenleben“ entsprachen auch dessen Lebensauffassung. So stiftete der Fürst den Gemeinden Groß- und Kleinzschachwitz, Zschieren, Sporbitz und Meußlitz das erste Schulhaus, welches nach dessen eigenen Entwürfen 1822 erbaut und am 10. September 1823 eingeweiht wurde – das heutige Putjatinhaus.
Lehrer Locke (1804 – 1872)
Von 1823 bis 1871, also fast 50 Jahre unterrichtete der Lehrer Johann Carl Christoph Locke,
der seit Juni 1822 in Kleinzschachwitz als Kinderlehrer angestellt war, als einziger Pädagoge nacheinander oftmals über einhundert Kinder täglich im Erdgeschoss, während seine Familie in den oberen Räumen wohnte. Als das Gebäude für die wachsende Kinderschar der fünf Gemeinden zu klein wurde musste ein größeres Schulhaus in der Meußlitzer Straße errichtet werden, dessen Einweihung am 13. April 1874 stattfand. (Heute evangelisches Gemeindehaus)
Tischlerei und Wohnhaus (1874 – 1957)
Das alte Schulhaus wurde an den Sohn des Lehrers Locke mit Genehmigung der Königlichen Schulinspektion am 14. Oktober 1875 verkauft, obwohl dies laut Putjatinstiftung ausgeschlossen war. Friedrich August Locke nutzte es als Wohnhaus, wobei er durch Landkauf das Grundstück vergrößerte und ein Nebengebäude für seine Tischlerei erbaute. Nach dessen Tod erwarb die Gemeinde Kleinzschachwitz am 19. Mai 1914 das inzwischen marode Anwesen von der Witwe des Tischlers zurück mit dem Ziel, das Haus für gemeinnützige Zwecke zu nutzen. Dabei wurde an eine Spielschule oder ein Ortsmuseum gedacht. Durch die beiden Weltkriege samt der damit einhergehenden Geld- und Wohnungsnot blieb das Putjatinhaus aber bis 1959 ein Wohnhaus.
Jugend- und Kulturzentrum (1957 – 1991)
Nach dem Tod des zuletzt eingemieteten Tischlers (Renner), drohte das Werkstattgebäude zu verfallen, so dass es sich die Kleinzschachwitzer Jugend 1957 als Treffpunkt herrichtete. Von da an engagierten sich kulturell interessierte Anwohner dafür, dass die Bewohner des Putjatinhauses anderen Wohnraum erhielten, um endlich die öffentliche Nutzung des Gebäudes zu verwirklichen. Nach einem Umbau konnte im Januar 1961 das Kulturzentrum eröffnet werden. Mit Veranstaltungsräumen, die einen Treffpunkt für Partei und Massenorganisationen, eine Beratungs- und Rentenausgabestelle ermöglichten, sowie als Ort des künstlerischen Volksschaffens samt einer kleinen Bibliothek, entwickelte sich das Putjatinhaus zum Zentrum des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens im Stadtteil. Zunächst ehrenamtlich leitete diese Kultureinrichtung bis 1983 Felix Pfüller. Danach übernahm die Stadt die Betreibung durch die Angestellte Nadja Schneider bis zur Schließung Ende 1991. Schon lange zuvor war das Obergeschoss baupolizeilich gesperrt und eine Generalsanierung war dringend geboten.
Soziokulturelles Zentrum (1994 – heute)
Nach einer aufwendigen und liebevollen Rekonstruktion der denkmalgeschützten Fassade und Neugestaltung des Inneren durch den Eigentümer, die Landeshauptstadt Dresden, konnte im Mai 1994 die Wiedereröffnung des Haupthauses gefeiert werden. Zuvor hatten die Anwohner tapfer um den Erhalt ihres Kulturhauses als öffentlich genutztes Gebäude gekämpft und einen Förderverein, mit Dr. Dorothea Hillscher als Vorsitzende, gegründet, der das Putjatinhaus nun mit völlig neuen Inhalten als soziokulturelles Zentrum mieten und betreiben sollte.
Es war ein sehr mühevoller Weg für einen zunächst absolut mittellosen Bürgerverein, ein funktionierendes Stadtteilkulturzentrum aufzubauen. Mit der Teilmöblierung und einer jährlichen finanziellen Förderung unterstützt die Stadt seit der Eröffnung die Arbeit, die hier geleistet wird.
2002 blieb auch das Putjatinhaus nicht von der großen Flut verschont und musste auf Grund starker Schäden und Sachwertverluste für ein Jahr das Büro in Container verlagern. Dank der großen Spendenbereitschaft von privaten Personen und vielen Institutionen konnte das Haus bereits ein Jahr später vollständig saniert wieder übergeben werden.
Seit der Betreibung des Putjatinhauses durch den Förderverein wurde über die Jahre ein eigenes Profil erarbeitet, das sich immer der Struktur des Wohnumfeldes verpflichtet fühlte. Von Beginn an stand eine basisnahe Kulturarbeit auf dem Programm. Dabei soll allen Menschen der Zugang zu eigenem kreativen Schaffen ermöglicht werden. Definiert durch einen weiten Kulturbegriff, der mehr meint als die klassischen Künste, bedient das Haus heute vielseitige kulturelle Themen, ist Treffpunkt, Ort für Initiativen und Menschen, die gemeinsam etwas schaffen wollen. Viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben dem Haus bisher Form und Inhalt gegeben, ihr Herzblut und ihre Ideen in die Programme des Hauses eingebracht. Der ca. 100 Mitglieder zählende Verein hat dabei nicht nur als juristischer Träger fungiert, sondern mit aktiven Mitgliedern selbst Programmpunkte gestaltet und die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in vieler Hinsicht unterstützt.
Heute profitiert das Haus von seiner reichen Geschichte, von den Ideen seines Stifters, eines Menschenfreundes und progressiven Denkers und nicht zuletzt von den Spuren, die jeder einzelne Künstler, Mitarbeiter, Helfer oder Besucher hinterlassen hat.
Die Vielfalt ist auch heute noch die Kraft, die uns bunt denken und die Traditionen fortleben lässt. Unter Tradition verstehen wir dabei nicht die Aufbewahrung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers – als den progressiven Geist, der das Haus seit vielen Jahren begleitet
Wer war Putjatin?
Nun kurz einiges Wissenswerte über den russischen Fürsten Putjatin, der unser Haus vor 200 Jahren hat erbauen lassen:
- 1749 Nikolaus Abramowitsch Putjatin wird am 16. Mai in Kiew geboren
- Kind eines alten russischen Fürstengeschlechtes. Seine Mutter stirbt kurz nach der Geburt.
- Sein Vater, Oberst des Dragonerregiments von Nowgorod, später Brigadegeneral, Geheimrat, erhielt 1768 für seine Verdienste den Senatorenrang.
- Im Alter von 10 Jahren Eintritt in eine Regimentsschule, die auch in Kunst und Wissenschaft eine solide Ausbildung bot.
- 1770 bereits in jungen Jahren diplomatische Dienste für Zarin Katharina II.
- 1780 Kammerjunker Putjatin wird von der „Kanzlei für Haus- und Gartenbau“ beauftragt, die Aufsicht über das Baugeschehen in Petershof zu führen. In dieser Zeit etwa erfolgt die Hochzeit mit der geschiedenen deutschen Gräfin Elisabeth von Sievers.
- 1786 Ernennung des Fürsten Putjatin zum Ordentlichen Kammerherren. Erlass über die Berufung Putjatins in die „Kanzlei für Haus- und Gartenbau“.
- 1789 im Auftrag Katharina II. reist Putjatin in inoffizieller und vertraulicher diplomatischer Mission zur Herzogin von Sachsen nach Deutschland und dabei nach Dresden.
- 1790 Reisen durch Deutschland, England, Frankreich und Italien
- 1793 längerer Aufenthalt in Dresden
- 1795 Rückkehr nach St. Petersburg als Geheimrat ins Bauamt, doch infolge seines Gesundheitszustandes wird er nach wenigen Wochen vom Dienst befreit.
- 1795/96 Reise mit Familie und befreundeten Maler Franz Gareis durch Russland
- 1796 Wohnung in Dresden, Adresse „Neumarkt 768“
- 1797 Landkauf in Kleinzschachwitz
- 1798 Bau einer Sommervilla mit Landschaftspark.
- Dessen Gestaltung wurde von der Architektur des Wörlitzer Parks beeinflusst.
- 1809 engagiert Putjatin dazu mit Friedrich Graul einen Kunstgärtner aus Wörlitz. Tausende Einträge in einem ausgelegten Gästebuch, darunter viele prominente Zeitgenossen, bezeugen die einstige Schönheit dieser Anlage.
- 1822 Stifter und Architekt der ersten Schule für Kleinzschachwitz und Umgebung.
- 1823 das Schulhaus wird am 10.9. eingeweiht, das heutige Putjatinhaus.
- 1824 Stiftung von 300 Talern für alljährliches Kinderfest zur Erinnerung an den Tag. Die philosophische Schrift Putjatins „Worte aus dem Buch der Bücher oder über Welt und Menschenleben“ erscheint.
- 1825 Schenkung eines Spielplatzes mit Schaukeln, ein offenes auf Säulen ruhendes kleines Gebäude in antiker Tempelform, sowie eines Fahrweges und Marktplatzes, der heutige Putjatinplatz.
- 1827 Eine gedruckte „Sammlung der Inschriften aus dem Fremdenbuche des Fürstl. Poutiatin’ischen Gartens zu Klein-Zschachwitz“ erscheint.
- 1829 Putjatin übergibt der Schule ein Legat von 2000 Talern und erweitert den Spielplatz durch einen „Rutschberg“.
- 1830 Fürst Putjatin stirbt am 13. Januar in seiner Dresdner Stadtwohnung am Neumarkt.
- 1997 Einweihung eines Putjatin – Denkmals auf dem Putjatinplatz.
Fürst Putjatin – ein Dresdner Original ?
Zeitzeugen wie Wilhelm von Kügelgen beschreiben Fürst Putjatin als liebenswerten Sonderling. Die Beliebtheit des Fürsten Putjatin beruhte nicht allein auf seinen originellen und skurrilen Erfindungen, sondern er war auch ein kenntnisreicher Mann auf unterschiedlichen Gebieten der Philosophie, Kunst und Wissenschaft und eine geachtete Persönlichkeit. Bei schönem Wetter trug er eine großschirmige Mütze, eine Brille mit blauen Gläsern und einen bis zu den Füßen zugeknöpften Überrock. Rechts vor der Brust hing an einem Haken ein monströser Schirm, links eine Hundepeitsche und eine Flöte oder Schalmei, Signalgeber für seine ihn stets begleitenden Möpse. Weil er keine Beinkleider trug, dienten ihm Leinewandstreifen als Ersatz, und Blechbänder an den Schuhschäften sollten vor Hundebissen schützen. Eine Gesichtslarve sollte gegen Wind und Staub Schutz bieten. Bei Regenwetter glich er einem wandelndem Schilderhaus: Mit Fenstern versehen, bedeckte eine schwarze Tafthülle die ganze Gestalt. Durch die Fenster konnte er die geliebte Natur gut beobachten. Wenn Putjatin bei kalter Witterung durch die Straßen fuhr, stieg Rauch aus der beheizten Kutsche. Im Sommer ruhte der Kutschkasten auf einem luftgefüllten Lederballon, der zwei Blasebälge speiste, die dem Fürsten während der Fahrt Kühlung spendeten. Fürst Putjatin war ein eigenwilliger Gesundheitsapostel. Die täglichen FKK-Luftbäder, die er sich verordnete, nahm er auch auf einem “Zwischendeck” seines Empfangszimmers. Ungesehen unterhielt er sich von dort aus mit seinen Besuchern. Doch vor allen Dingen schätzte man ihn als gütigen Menschenfreund und liebenswerten Zeitgenossen – als Humanisten.
Alles Schöne ist nur dann vorzüglich schön, wenn es, vom Nützlichen hervorgebracht,
selbst wieder recht gute Kinder hat.